Die Rechtslage bei einem groben Behandlungsfehler
Der Gesetzgeber stärkte 2013 die Rechte von Patienten erheblich durch die Übernahme des Rechtsbegriffs „grober Behandlungsfehler“ ins BGB.
Danach gilt folgendes:
1. Voraussetzung: Grober Behandlungsfehler
Der Arzt hat eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt des entsprechenden Fachgebiets schlechterdings nicht unterlaufen darf.
2. Folge: Beweislastumkehr
Für den Zusammenhang zwischen Behandlungsfehler und erstem Schaden greift grundsätzlich eine Beweislastumkehr.
Für weitere Schäden greift die Beweislast dann ein, wenn diese typische Folge der Primärverletzung sind.
Die Behandlungsseite wird dann mit der oft gebrachten Argumentation keinen Erfolg haben, dass die eingetretenen Schäden beim Patient Folge einer Grunderkrankungen oder des allgemein schlechten Gesundheitszustands sind.
Beweislast beim einfachen und groben Behandlungsfehler
1. Das muss der Patient beweisen:
- Es liegt ein vorwerfbarer Behandlungsfehler vor.
- Der Patient hat einen Gesundheitsschaden erlitten.
- Der Arztfehler ist grundsätzlich geeignet, diesen Schaden zu verursachen.
2. Beim groben Fehler muss das der Arzt beweisen:
- Der Gutachter hat unrecht.
- Es liegt kein grober Behandlungsfehler vor.
- Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass der erlittene Körperschaden beim Patient ursächlich auf den Behandlungsfehler zurückzuführen ist.
Wann liegt ein grober Behandlungsfehler vor?
Wenn der Arzt eindeutig gegen grundsätzliche, bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen hat, entscheiden Richter – meist nach Gutachten – auf einen „groben Behandlungsfehler“.
Von diesem Augenblick an muss der Arzt nachweisen – und nicht mehr der Patient – , dass sein Fehler gerade nicht für die gesundheitlichen Schäden des Patienten verantwortlich zu machen ist (Beweislastumkehr).
Was ist ein Verstoß gegen „bewährte ärztliche Behandlungsregeln?“
Ein Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse ist gegeben (so schon der BGH, Urteil vom 03.12.1985, VI ZR 106/84), wenn
- es für den konkreten Einzelfall klare und feststehende Vorgaben bzw. Handlungsanweisungen gibt
- wenn der behandelnde Arzt gegen Leitlinien, Richtlinien oder anderweitige ausdrückliche Handlungsanweisungen verstößt
- und der Arzt keine vernünftige Erklärung hat, warum er vom vorgegebenen Standard abgewichen ist.
Befunderhebungsfehler
Hat der Arzt die Erhebung oder Sicherung von Diagnose-oder Kontrollbefunden grob fehlerhaft unterlassen, greift ebenfalls eine Beweislastumkehr ein. So z.B., wenn
- es der Arzt unterlassen hat, medizinisch gebotene Befunde zu erheben oder zu sichern
- und sich aus den erhobenen Befunden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte
- sodass die Verkennung des Befundes fundamental oder die Nicht- Reaktion auf den Befund grob fehlerhaft gewesen wäre.
Das BGH-Urteil vom 26.01.2016, VI ZR 146/14
Der Gesetzgeber hat in § 630 h V 2 BGB diese Rechtsprechung in Gesetzesform gebracht.
Hin und wieder versuchen Ärztevertreter aus dem Wortlaut eine Einschränkung der Definition des Befunderhebungsfehlers abzuleiten.
Bundestag und Bundesrat haben von einem redaktionellen Versehen gesprochen und betont, dass es bei der umfassenden Beweislastumkehr, die der BGH festgesetzt hat, bleiben soll.
Voll beherrschbares Risiko?
Kommt es In einem Bereich, den die Behandlungsseite voll beherrschen kann und muss, zu einem Fehler, so wird vermutet, dass ein Behandlungsfehler vorliegt, den die Ärzteseite verschuldet hat.
Beispiele sind
- die Funktionstüchtigkeit eingesetzter medizinischer Geräte
- vermeidbare Keimübertragungen durch ein Mitglied des Operations- oder Pflegeteams
- Nervenschädigungen nach falscher Lagerung des Patienten
- Verstöße gegen Maßnahmen zur Vermeidung von Stürzen des Patienten.
Keine Beweislastumkehr
Keine Beweislastumkehr gibt es, wenn die Infektionsquelle unklar bleibt.
Allerdings muss die Behandlungsseite dann darlegen und gegebenenfalls nachweisen, dass ein vom Patient vorgetragener konkreter Hygieneverstoß nicht passiert ist (BGH, Urteil vom 20.03.2007, VI ZR 158/06).
Im Bereich des voll beherrschbaren Risikos müssen Ärzte und Krankenhäuser sich also in der Regel entlasten.
Anscheinsbeweis
Bei ganz typischen Geschehensabläufen kann dem Patient der Beweis des ersten Anscheins zugute kommen, wenn ein Schadensereignis nach allgemeiner Lebenserfahrung typische Folge einer ärztlichen Pflichtverletzung ist.
Beispiele:
- Übertragung kontaminierten Blutes eines Spenders, sodass der Patient später an Aids erkrankt.
- Nach einer Injektion kommt es zu einem Spritzenabszess, wenn feststeht, dass in der Arztpraxis gravierende Hygienemängel bestanden und es keine Hygienepläne gegeben hat.
- Wird bei der Extraktion eines Weisheitszahnes durch ein rotierende Instrument ein Nerv geschädigt, so spricht ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Zahnarztes.
Anfängerfehler
Überträgt der Arzt oder das Krankenhaus eine Operation auf einen hierfür noch nicht ausreichend qualifizierten Assistenzarzt, so ist dies ein Behandlungsfehler. Der Patient hat dann Ansprüche auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gegen den Krankenhausträger.
Das gilt auch bei Anfängernarkosen.
Erleidet ein Patient bei einer Anfängeroperation oder einer Anfängernarkose einen Gesundheitsschaden, so ist dies ein Indiz dafür, dass der behandelnde Arzt nicht über die ausreichende Qualifikation verfügt hat.
Arzt bzw. Krankenhaus müssen dann diese Vermutung entkräften und beweisen, dass eine z.B. eingetretene Komplikation nicht auf der geringen Erfahrung oder Übung des Assistenzarztes beruht (BGH, Urteil vom 10.03.1992, VI ZR 64/91).
Das ist jetzt ebenfalls in § 630h IV BGB festgeschrieben worden.
Facharztstandard
Zur Sicherstellung des sogenannten Facharztstandards muss der Arzt oder die Klinik dafür sorgen, dass entweder ein Facharzt selbst operiert oder den noch nicht vollständig ausgebildeten Operateur überwacht.
Was tun wir für unsere Mandanten?
Durch akribische Beweissicherung z.B. in Form von Erlebnistagebüchern, Benennung von Zimmergenossen und sonstigen Zeugen und äußerst kritische Begutachtung des Behandlungsverlaufs, Der sich aus der vollständigen Behandlung Dokumentation ergibt, erarbeiten wir mit unseren Mandanten eine starke Beweissituation und damit eine starke Verhandlungsbasis.
Fälle, die zur Beweislastumkehr führen, sofort identifizieren
Wenn wir feststellen, dass Ärzte solche Fehler begehen, weisen wir unsere Gegner und die Gerichte auf diese nachdrücklich hin.
Das geschieht immer, wenn Ärzte
- grobe Behandlungsfehler begehen
- fundamental falsche Diagnosen stellen
- dringend gebotene Diagnose- und Kontrollbefunde – womöglich aus Geldgründen – nicht erheben
- grobe Therapiefehler begehen
- grobe Organisationsfehler machen
- Anfänger unkontrolliert behandeln lassen
- die Sicherungsaufklärung am Ende der Behandlung, wie sich unsere Mandanten weiter verhalten sollen, falsch geben oder gar unterlassen
Fazit: Wichtige Einfallstore, um einen Prozess zu gewinnen sind also:
1. Dokumentation
Der behandelnde Arzt ist zur ordnungsgemäßen Dokumentation seiner Behandlung verpflichtet. Zeichnet er „medizinisch gebotene wesentliche Maßnahmen und ihr Ergebnis“ nicht auf, wird vermutet, dass er diese Maßnahmen nicht durchgeführt hat.
Klafft also in Ihrer Patientenakte eine Lücke, müssen Sie sich keine Gedanken machen: Alles, was nicht in der Akte steht, hat der Arzt auch nicht gemacht. Zu seiner Entlastung müsste er beweisen können, dass er die Maßnahme tatsächlich durchgeführt hat.
2. Mangelnde Aufklärung
Haben Sie einen Schaden aus einer Behandlung erlitten, über deren Risiken Sie Ihr Arzt vorab nicht oder nicht umfassend genug aufgeklärt hat, ist Ihr Arzt Ihnen gegenüber schadensersatzpflichtig.
Das gilt nur dann nicht, wenn er nachweisen kann, dass Sie den Schaden auch dann erlitten hätten, wenn er Sie umfangreich aufgeklärt hätte.
3. Mangelnde Befunderhebung
Wenn gewisse Befunde hätten erhoben werden müssen und der Arzt das unterlassen hat, liegt ebenfalls ein grober Behandlungsfehler vor. Die Folge ist wiederum eine Beweiserleichterung für Sie.
4. Kein Facharztstandard
Ein weiterer Grund für eine Beweislastumkehr kann auch der „mangelnde Facharztstand“ Ihres Arztes sein.
Wurde die Behandlung durch einen nicht befähigten Arzt durchgeführt, wird vermutet, dass die mangelnde ärztliche Befähigung für den Eintritt des Schadens ursächlich war.
Zur Entlastung müsste der betroffene Arzt nun nachweisen, dass der Schaden des Patienten nicht durch seine mangelnde Kenntnis verursacht wurde.
5. Krankenhauspersonal
Krankenschwestern, Pfleger, Hebammen – je nachdem, ob es im Prozess um vertragliche oder deliktische Ansprüche geht, ist die Beweislast unterschiedlich verteilt.
Bei Ansprüchen aus dem Behandlungsvertrag haftet der Arzt immer für die Fehler seiner „Erfüllungsgehilfen“.
Die Beweislast liegt bei Ihnen.
Bei Ansprüchen aus Delikt (unerlaubter Handlung) kann sich der Arzt dadurch entlasten, dass er nachweist, das Personal sorgfältig genug ausgewählt, angeleitet oder bei der Arbeit überwacht zu haben.
6. Hygienemängel
Zu Ihren Gunsten wird gemäß Infektionsschutzgesetz vermutet, dass die Ansteckung mit einem multiresistenten Keim auf ein fehlerhaftes Verhalten des medizinischen Personals zurückzuführen ist.
Arzt oder Krankenhausträger haben ihrerseits zu beweisen, dass alles Erdenkliche getan wurde, Sie infektionsfrei zu versorgen.
Der Entlastungsbeweis gelingt ihnen aber nur dann, wenn sie durch Vorlage schriftlicher Aufzeichnungen belegen können, dass sie die Hygieneempfehlungen des Robert-Koch-Instituts eingehalten haben.
7. Anscheinsbeweis
Der Anscheinsbeweis führt ebenfalls zu Ihren Gunsten zu einer Beweiserleichterung: Ihn können Sie sich bei typischen Geschehensabläufen zunutze machen.
Das heißt dann, wenn sich ein „allgemeines Behandlungsrisiko verwirklich hat“.
In diesen Fällen wird vermutet, dass der Behandelnde fehlerhaft gehandelt hat.