Krankenakten durch Gerichte nicht an Prozessbeteiligte ausgehändigt
Das Oberlandesgericht Hamm und das Oberlandesgericht Koblenz tun sich dadurch hervor, dass sie beigezogene Krankenakten nicht an die Prozessbevollmächtigten der Parteien versenden.
Begründet wird dies damit, dass diese die Möglichkeit haben, die Krankenunterlagen auf der Geschäftsstelle einzusehen und dort Kopien zu fertigen.
Die Unterlagen seien nicht Bestandteil der eigentlichen Prozessakte und unterlägen deswegen nicht § 299 I ZPO.
Unsere Rechtsauffassung dazu:
Wir vertreten die Auffassung, dass Urkunden, die vom Gericht unmittelbar gemäß § 142 ZPO bei Dritten angefordert worden sind (und dazu gehören Behandlungsunterlagen) dem Anspruch auf die Anfertigung von Kopien aus §§ 131, 133 ZPO unterliegen.
In der Literatur finden sich auch Stimmen, die davon ausgehen, dass die beigezogenen Krankenakten Teil der Prozessakte sind. Alles andere wäre wohl ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG (Leipziger Kommentar-Katzenmaier, Rz. IX 62).
Gerichte fordern Originalunterlagen vom Kläger
Probleme ergeben sich auch dann, wenn Gerichte den Patienten im Prozess auffordern, Originalbehandlungsunterlagen vorzulegen.
Gemäß § 630 g BGB hat der Patient aber gerade keinen Anspruch auf Übersendung der Originalbehandlungsunterlagen an die Kanzlei des Patientenvertreters.
Folglich ist der Arzt bzw. das Krankenhaus nur verpflichtet, gegen Kostenersatz Kopien anzufertigen.
Dies führt im Prozess dann dazu, dass der Sachverständige keine Originalbehandlungsunterlagen, sondern nur Kopien zur Verfügung hat.
So lösen wir das:
Wir versuchen dies dadurch zu lösen, dass wir die Aufforderung des Gerichts an uns, die Originalbehandlungsunterlagen vorzulegen, an die jeweiligen Ärzte und Krankenhäuser mitversenden mit der Aufforderung, uns die Originalbehandlungsunterlagen zu übersenden.
Wenn dies (in seltenen Fällen) nicht funktioniert, hat es sich bewährt, im Termin zur mündlichen Verhandlung die Frage an den Sachverständigen zu stellen, ob die Kopien ausreichend zur Bewertung des Sachverhalts gewesen sind.
Wenn dies nicht der Fall ist, ist das Gericht darauf hinzuweisen, dass der Sachverständige sein Gutachten nicht auf der Basis der vollständigen Originalbehandlungsunterlagen angefertigt hat.
Dies wäre ein Berufungs- und ggf. ein Revisionsgrund.
Strategie von Antragstellung und
Es empfiehlt sich immer, möglichst frühzeitig vor dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung ein Akteneinsichtsgesuch an das Gericht zu stellen.
So kann Einsicht in die beigezogenen Originalbehandlungsunterlagen genommen werden.
Zusammen mit dem Patient kann man diese dann durchsehen und mit der Wahrnehmung des Patienten und mit den vorprozessual überlassenen Behandlungsunterlagen vergleichen.
Dies führt in erstaunlich vielen Fällen zu erheblichen Diskrepanzen.
Ordnungsgemäße Dokumentationj: Gerichte verlangen, was Kliniken (oft) nicht freiwillig geben
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Rechtsprechung davon ausgeht, einer ordnungsgemäßen Dokumentation komme zu Gunsten der Behandlungsseite grundsätzlich Indizwirkung zu (OLG Frankfurt, Urteil vom 18.12.2014, Az. 22 U 57/12, GesR 2014, S. 286).
Der Patient bleibt für seine der Dokumentation widersprechenden Behauptungen regelmäßig beweisfällig, wenn die Angaben des behandelnden Arztes zur Durchführung der Behandlung plausibel sind, von der Dokumentation gestützt werden und keine Anhaltspunkte für eine Manipulation oder Unrichtigkeit der Dokumentation ersichtlich sind (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.3.2005, Az. 8 U 56/04, GesR 2005, S. 464).
Sind die vorgelegten Unterlagen echt und vollständig?
Um die Indizwirkung bezüglich der Vollständigkeit der Dokumentation zu erschüttern, muss der Patient konkrete Anhaltspunkte vortragen.
Die Echtheits- bzw. Vollständigkeitsvermutung gilt nämlich dann nicht mehr, wenn an den Eintragungen nachträglich Änderungen vorgenommen worden sind, ohne diese kenntlich zu machen (OLG Naumburg, Urteil vom 26.1.2012, Az. 1 U 45/11, GesR 2012, S. 762).
Insbesondere eine EDV Dokumentation, die nachträglich verändert worden ist, ohne dies kenntlich zu machen, entfaltet keine Indizwirkung mehr, (OLG Naumburg, Urteil vom 16.4.2015, Az. 1 U 119/13, GesR 2015, S. 498). Dies bedeutet, dass ihr nicht mehr einfach automatisch geglaubt werden kann.
Stimmen in der Literatur sagen sogar, dass § 630 f I 2 BGB i.V.m. § 630 f I 3 BGB die Erleichterung der Beweisführung in einem Haftungsprozess bezweckt (Münchner Kommentar-Wagner, § 630 f BGB, Rz. 10). Das hat sich in der Rechtsprechung noch nicht durchgesetzt. Es würde aber bedeuten, dass Ärzte gerichts-und beweissicher dokumentieren müssten.
Die Einwilligung des Patienten
Ein ganz besonderes Problem ist die mutmaßliche Einwilligung des Patienten.
Es geht dabei um die Frage, ob der Aufklärungsfehler kausal für den später eingetretenen Schaden geworden ist.
Es ist zu fragen, ob der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung trotzdem in die Behandlung eingewilligt oder bei ordnungsgemäßer Aufklärung zunächst zugewartet und/oder eine Zweitmeinung eines anderen Arztes eingeholt hätte.
Hierzu wird das Gericht den Patienten regelmäßig sorgfältig und ausführlich befragen.
Auf diese Befragung muss der Patient vorbereitet werden. So fragen die Gerichte z.B. regelmäßig danach, ob der Patient dem Arzt vertraut hat. Dies muss vom Patientenanwalt sofort relativiert werden, denn ohne dieses Vertrauen begibt sich der Patient schließlich nicht in die Behandlung des Arztes.
Vertrauen allein bedeutet nicht bereits eine hypothetische Einwilligung!
Der ernsthafte Entscheidungskonflikt
Der Patient muss dem Gericht konkret darlegen können, dass er sich nach einer ordnungsgemäßen Aufklärung zumindest in einem ernsthaften Entscheidungskonflikt befunden und/oder zunächst zugewartet und/oder eine Zweitmeinung eines anderen Arztes eingeholt hätte.
Hätte er – unter diesem Zweifel – die Behandlung nicht am selben Tag vom selben Behandler in derselben Form vornehmen lassen, läge ein ernsthafter Entscheidungskonflikt vor.
Und dann ist keine hypothetische Einwilligung gegeben (BGH, GesR 2010, S. 481).
Die Rolle des Privatgutachters
Ein Privatgutachten ist qualifizierter, urkundlich belegter Parteivortrag (BGH NJW 2001, S. 77).
Der gerichtlich bestellte Sachverständige und das Gericht haben sich damit auseinander zusetzen.
Da die mündliche Verhandlung öffentlich ist, kann der Patient einen Privatgutachter zur mündlichen Verhandlung mitbringen.
Das Gericht kann ihm gestatten, sich fachlich zu äußern oder dem Gerichtssachverständigen im Auftrag der Partei Fragen zu stellen.
Verpflichtet ist das Gericht dazu aber nicht (BGH NJW 1993, S. 2989).
Nach der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2011 ist es zumindest zweckmäßig, dem Privatgutachter in gewissem Umfang die unmittelbare Befragung des Gerichtssachverständigen zu gestatten (BGH, VersR 2011, S. 552).